Sozialhelden e.V. kritisiert Gesetzentwurf zur Barrierefreiheit – Wirtschaft darf behinderte Menschen weiter ausschließen
(Berlin) – Ende März legte die Bundesregierung einen Entwurf für ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vor, welches in zwölf Wochen von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden soll. Die Öffentlichkeit und insbesondere Behindertenorganisationen werden kaum in den Gesetzgebungsprozess eingebunden.
- Bundesregierung legt Gesetz zur Barrierefreiheit von einzelnen Produkten und Dienstleistungen vor. Dabei handelt es sich um die Umsetzung des European Accessibility Acts (EAA), einer EU-Richtlinie.
- Eine allgemeine Pflicht zur Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen existiert in Deutschland nicht.
- Die Sozialheld*innen kritisieren, dass es sich bei dem Gesetz um eine Mogelpackung handelt. Sie schlagen wesentliche Nachbesserungen vor.
Deutschland ist eines der wenigen OECD-Länder, die keine allgemeingültige Gesetzgebung zur Barrierefreiheit – insbesondere für wirtschaftliche Akteure – besitzt. Die größte Einschränkung für Menschen mit Behinderung sind daher noch immer alltägliche Barrieren: Stufen vor Geschäften, fehlende WC-Anlagen oder zugestellte Blinden-Leitlinien. Das Institut für Menschenrechte, das gesetzlich mit dem Monitoring der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) beauftragt ist, sieht 15 Jahre nach Inkrafttreten der UN-BRK in seiner Stellungnahme den Bund in der Verantwortung, für eine umfassendere Barrierefreiheit zu sorgen, als es der Gesetzentwurf vorsieht.
“Schon im Vorfeld der Vorlage der Bundesregierung gab es erhebliche Kritik am Referent*innenentwurf. Ein Gesetz, das sich nur auf wenige Produkte und Dienstleistungen bezieht, verdient den Namen Barrierefreiheitsstärkungsgesetz nicht”, so Behindertenrechtsaktivist Constantin Grosch. Für den Sozialhelden e.V. ist das Gesetz damit eine Mogelpackung. Denn im Gegensatz zur äußerlichen Verpackung handelt es sich bei dem Gesetz nur um die Umsetzung einer Richtlinie (EAA) der Europäischen Union, die sich auf wenige spezielle Situationen und Produkte konzentriert.
Der Gesetzentwurf regelt beispielsweise künftige Anforderungen an die Barrierefreiheit von Geldautomaten. Nicht berücksichtigt wird allerdings der barrierefreie Zugang. Besonders mit Blick auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen unter der UN-BRK müsse der Bund auf die Bundesländer einwirken, sodass diese wenigstens verbindliche Anforderungen an die Barrierefreiheit der baulichen Umwelt, die die Produkte und Dienstleistungen umgibt, festlegen. Der Sozialhelden e.V. fordert deshalb, relevante technische Normen und die Vorgaben der Landesbauordnungen entsprechend anzupassen, um umfassende Barrierefreiheit herzustellen. Ansonsten drohten die Ziele des European Accessibility Acts ins Leere zu laufen.
Im Gegensatz zu Ländern wie Österreich, in denen Unternehmen verpflichtet sind “angemessene Vorkehrungen” zu treffen, um auch Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Wirtschaftsleben zu ermöglichen, müssen in Deutschland Barrieren nicht abgebaut werden, sondern dürfen sogar neue entstehen. “Es ist enttäuschend, dass die größte Volkswirtschaft in Europa nicht für alle Menschen zugänglich ist und die Regierung daran offensichtlich auch nichts ändern möchte”, so Grosch weiter. Besonders im Hinblick auf das bauliche Umfeld werde deutlich, dass der Regierungsentwurf weit hinter den Möglichkeiten zurückbleibt, die selbst auf der Grundlage einer isolierten Betrachtung der EU-Richtlinie bestehe.
“Mit dem sogenannten Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verpasst die Bundesregierung wieder einmal die Chance, für eine generelle Barrierefreiheit zu sorgen. Anders als in der von ihr ratifizierten UN-BRK betrachtet sie das Unterlassen von Maßnahmen zur Barrierefreiheit nicht als Diskriminierung”, so Grosch.
Ein Bündnis von Behindertenorganisationen fordert in einem gemeinsamen Kernpunktepapier Nachbesserungen und ein Commitment der Bundesregierung zur umfassenden Herstellung von Barrierefreiheit und damit ein Ende der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen.
Die komplette Stellungnahme des Sozialhelden e.V. finden Sie unter http://bit.ly/StellungnahmeBFG
Die Stellungnahme des Instituts für Menschenrechte finden Sie unter http://bit.ly/StellungnahmeBFG-IFM
Das Kernpunktepapier des Bündnisses von Behindertenorganisationen finden Sie unter https://barrierefreiheitsgesetz.org